Einrichtung: Dezember 2021
Auftrag: Wissenschaftliche Beratung der Bundesregierung zu medizinischen, psychologischen, sozialen und ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Pandemie.
Mitglieder (öffentlich bekannt gegeben):
- Prof. Dr. Heyo K. Kroemer – Vorstandsvorsitzender der Charité (Vorsitz)
- Prof. Dr. Melanie Brinkmann – Virologin, TU Braunschweig (stellv. Vorsitzende)
- Prof. Dr. Reinhard Berner – Kinder- und Jugendmediziner, Uni Dresden
- Prof. Dr. Cornelia Betsch – Psychologin, Uni Erfurt
- Prof. Dr. Alena Buyx – Medizinethikerin, TU München; Vorsitzende Deutscher Ethikrat
- Prof. Dr. Jörg Dötsch – Präsident, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
- Prof. Dr. Christian Drosten – Virologe, Charité Berlin
- Prof. Dr. Christine Falk – Immunologin, Medizinische Hochschule Hannover
- Prof. Dr. Ralph Hertwig – Direktor, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
- Prof. Dr. Lars Kaderali – Bioinformatiker, Universität Greifswald
- Prof. Dr. Christian Karagiannidis – Intensivmediziner, Köln-Merheim
- Prof. Dr. Thomas Mertens – Vorsitzender der STIKO
- Prof. Dr. Michael Meyer-Hermann – Systemimmunologe, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Braunschweig
- Dr. Johannes Niessen – Leiter, Gesundheitsamt Köln
- Dr. Viola Priesemann – Physikerin, Max-Planck-Institut Göttingen
- Prof. Dr. Leif Erik Sander – Infektiologe, Charité Berlin
- Stefan Sternberg – Landrat, Ludwigslust-Parchim
- Prof. Dr. Hendrik Streeck – Virologe, Uni Bonn
- Prof. Dr. Lothar H. Wieler – Präsident des Robert Koch-Instituts (bis 2023)
Juristischer Hinweis: Diese Liste wurde von der Bundesregierung selbst veröffentlicht und ist daher nicht vertraulich.
Wenn ich sie also im Zusammenhang mit einem geschwärzten Dokument zitieren oder kontextualisieren will, kann ich auf die öffentliche Quelle verweisen, etwa:
Vgl. Bundesregierung, „Mitglieder des Corona-ExpertInnenrats“, bundesregierung.de, Stand Dezember 2021.
Zusammenfassung der Protokolle des Expertengremiums zur COVID-19-Pandemie
Zeitraum: 14. Dezember 2021 – 9. Februar 2022
Format: Videokonferenzen
Teilnehmende: 19 Mitglieder eines interdisziplinären ExpertInnenrats (Medizin, Ethik, Psychologie, Kommunikation, Modellierung, Pädiatrie etc.), Vertreter der Bundesregierung und beteiligter Ministerien.
1️⃣ Einsetzung und Selbstverständnis
Das Gremium wurde auf Initiative des Bundeskanzleramts eingerichtet, um die Bundesregierung unabhängig und wissenschaftlich zu Fragen der COVID-19-Pandemie zu beraten.
Zentrale Prinzipien, auf die sich die Mitglieder verständigten:
- Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Bewertung
- Vertraulichkeit der Beratungen
- Einheitliche Kommunikation nach außen
- Initiativrecht für eigene Themenvorschläge
Der Vorsitz und die stellvertretende Leitung wurden aus den Reihen der Mitglieder gewählt.
2️⃣ Themen der frühen Sitzungen (Dezember 2021)
Schwerpunktthema: Einschätzung der Omikron-Variante (B.1.1.529)
- Vorstellung internationaler Daten (u. a. aus Südafrika, Dänemark, UK, Israel).
- Ergebnis: Omikron erscheint infektiöser, aber tendenziell mit milderen Verläufen als Delta; wegen hoher Fallzahlen dennoch erhebliche Belastung des Gesundheitssystems erwartet.
- Empfehlungen:
- Beschleunigte Booster-Impfungen,
- Kontaktreduktionen,
- verbesserte Datenerhebung zu Varianten und Inzidenzen,
- getrennte Ausweisung von Omikron-Fällen.
- Diskussionen: Risiko- und Krisenkommunikation, Kommunikationsstrategien zur Impfkampagne, Nutzung digitaler Kanäle.
Ein Kurzpapier mit Dringlichkeitsempfehlungen wurde zur Vorbereitung der Ministerpräsidentenkonferenz am 20. Dezember 2021 erstellt.
3️⃣ Organisatorische Grundlagen (Ende Dezember 2021)
- Entwurf einer Geschäftsordnung, inklusive Kommunikationsregeln und Aufgabenmatrix.
- Diskussion über die öffentliche Darstellung des Gremiums (Themenseite auf bundesregierung.de, Kurzbiografien).
- Konsens, dass Berichte als „Stellungnahmen“ erscheinen sollen, nicht als wissenschaftliche Gutachten.
- Abgrenzung zur Arbeit anderer Institutionen (RKI, STIKO): keine operative Doppelung.
4️⃣ Bewertung der Omikron-Welle (Ende Dezember 2021 – Januar 2022)
Das Gremium diskutierte laufend neue Daten zu Infektionsdynamik, Hospitalisierung, Impfwirksamkeit und Krankheitsverläufen.
Kernpunkte:
- Omikron verursacht geringere Krankheitsschwere als Delta, aber hohe Fallzahlen → Gefahr der Systemüberlastung durch Personalausfälle.
- Booster-Impfung schützt gut vor schweren Verläufen; Schutz vor Infektion ist jedoch begrenzt.
- Notwendigkeit der Differenzierung von drei Indikatoren:
- Inzidenz (Infektionsdynamik)
- Hospitalisierung (Krankheitsschwere)
- Intensivbelegung (Gesundheitslast)
- Diskussion über Priorisierung von PCR-Tests bei begrenzten Laborkapazitäten.
- Vorbereitung einer Stellungnahme zu Kommunikationsstrategien und zu Kindern/Jugendlichen in der Pandemie.
5️⃣ Kommunikation und öffentliche Wahrnehmung
Ein wiederkehrendes Thema in allen Sitzungen:
- Fehlende integrierte Kommunikationsstrategie zwischen Bund, Ländern und Behörden.
- Notwendigkeit einer wissenschaftlich fundierten, nutzerorientierten Risiko- und Gesundheitskommunikation.
- Vorschlag: Aufbau einer unabhängigen Einrichtung für Gesundheitskommunikation in Deutschland.
- Kritik an unzureichender Datenaufbereitung und mangelnder Transparenz.
- Einigkeit, dass klare, einheitliche Botschaften das Vertrauen der Bevölkerung stärken würden.
6️⃣ Pädiatrie und Bildung
Eigene Arbeitsgruppe zu den Folgen für Kinder und Jugendliche:
- Analyse zu Krankheitsverläufen, Long-COVID, psychischen Belastungen und sozialen Ungleichheiten.
- Konsens: Schulen und Kitas sollen möglichst offenbleiben; Schutzmaßnahmen sollen kindgerecht gestaltet werden.
- Notwendigkeit einer besseren Datenbasis zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
7️⃣ Quarantäne, Teststrategien und Digitalisierung
- Diskussion über Quarantäneverkürzungen für kritische Infrastrukturen (KRITIS).
- Empfehlung: Priorisierung von PCR-Tests für Gesundheits- und Pflegepersonal, verstärkte Nutzung serieller Antigentests.
- Vorschlag, eine elektronische Patientenakte für epidemiologische Auswertungen und wissenschaftliche Nutzung einzuführen.
- Bedarf an einheitlicher Datenerfassung (z. B. Krankenhaus-Meldungen, Impfstatus, Genesenenstatus).
8️⃣ Rechtliche und ethische Aspekte
- Diskussionen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht (§ 20a IfSG):
- Befürchtung einer Überlastung der Gesundheitsämter.
- Vorschlag: Vereinfachung der Vollzugsregeln, z. B. durch automatische Tätigkeitsverbote mit Härtefallregelungen.
- Betonung der ethischen Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und individueller Selbstbestimmung.
- Debatte über künftige gesetzliche Grundlagen für Maskenpflichten und Schutzmaßnahmen.
9️⃣ Weitere Themen (Februar 2022)
- Austausch mit Bundesministerien zu rechtlichen Rahmenbedingungen und Pandemiefolgenbewertung.
- Diskussion über Kriterien einer möglichen „Exit-Strategie“ aus der Pandemie und Übergang in eine endemiologische Phase:
- Voraussetzung: stabile Impfquote, geringere Krankheitsschwere, ausreichende Immunität in der Bevölkerung.
- Überlegungen zu „After-Action-Reviews“ und Lehren für künftige Gesundheitskrisen.
- Erörterung der Subvariante Omikron BA.2 (höhere Übertragbarkeit, aber ähnliche Immunflucht).
🔍 Gesamtbewertung des Gremiums (Stand Februar 2022)
- Boosterimpfung ist zentraler Schutz vor schwerer Erkrankung.
- Masken bleiben einfachste und effektivste Maßnahme.
- Digitale Infrastruktur und Datenintegration müssen verbessert werden.
- Kommunikation muss professioneller, kohärenter und vertrauenswürdiger werden.
- Kinder, Jugendliche und Pflegepersonal benötigen besondere Aufmerksamkeit.
- Eine dauerhafte Institutionalisierung wissenschaftlicher Beratung wird empfohlen.
📚 Quellenlage & Zitierhinweis
Diese Zusammenfassung basiert auf einem vollständigen internen Dokument (PDF, Bundeskanzleramt, 2021–2022).
Zur öffentlichen Referenz können verwendet werden:
- Bundesregierung (2021 ff.): ExpertInnenrat COVID-19 – Mitglieder und Stellungnahmen, bundesregierung.de.
Grundsätzliche Hinweise
- Ich erhebe nicht den Anspruch, verbindlich oder abschließend zu urteilen.
- Die Bundesverfassungsgericht und andere Gerichte haben große Teile der Pandemie-Eingriffe als verfassungsgemäß beurteilt. SpringerLink+3Deutsche Welle+3Morrison Foerster+3
- Dennoch: Auch verfassungsgemäße Maßnahmen können im Einzelfall rechtswidrig gewesen sein — z. B. wegen fehlender Begründung, fehlender Befristung, unzureichender Evidenz oder ungleichmäßiger Anwendung.
- Wissenschaftliche Erkenntnisse sind fortlaufend gewachsen; was im Frühjahr 2020 als „unumstößlich“ galt, ist heute mit Nuancen zu sehen.
🧐 Kritische Punkte mit Potenzial für Verfassungs-/Evidenzprobleme
Hier drei ausgewählte Problembereiche mit Erläuterung von Rechtslage + Evidenzlage:
1. Maßnahmen ohne hinreichende Evidenzgrundlage / mangelnde Daten
Problematik: Eingriffe in Grundrechte (z. B. Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit) erfordern eine zureichende tatsächliche Grundlage („Verhältnismäßigkeit“) sowie eine wissenschaftliche Evidenz, dass die Maßnahme geeignet ist. PMC+2SpringerLink+2
Konkretes Beispiel: Es wurde schon früh kritisiert, dass viele Maßnahmen auf Modellrechnungen oder Annahmen beruhten, und dass belastbare Daten zur Wirkung einzelner Maßnahmen fehlten – z. B. eine Studie kommt zum Schluss: „Die Wirkung der meisten Maßnahmen in Deutschland bleibt fraglich“. arXiv
Rechtlich relevant: Wenn eine Maßnahme nicht geeignet, nicht erforderlich oder nicht angemessen ist, kann sie gegen das Grundrecht auf Freiheit bzw. anderen Schutzrechten verstoßen (Art. 2, Art. 8 GG etc.).
Bewertung: In der Rückschau lassen sich einige Maßnahmen als weniger gut begründet ankritieren — z. B. großflächige Lockdowns, Schul- oder Kita-Schließungen zu Zeiten, in denen die Evidenzlage für Kinder geringer war.
2. Ungleichbehandlung / Willkür / Defizite beim Bestimmtheitsgebot
Problematik: Grundrechte-Eingriffe müssen klar, bestimmt, gleichmäßig angewendet und durch gesetzliche Grundlage gedeckt sein. Wenn Verordnungen z. B. nicht ausreichend bestimmt sind oder Ungleichbehandlungen auftreten, kann das gegen Art. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) bzw. gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen. Wikipedia+2Cambridge University Press & Assessment+2
Konkretes Beispiel: Die Ausgestaltung von Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen variierte stark je nach Bundesland und Zeit; Kritik lautete, dass die Zustände nicht immer transparent und nachvollziehbar kommuniziert wurden. Verfassungsblog+1
Rechtlich relevant: Wenn z. B. Gastronomiebetriebe geschlossen werden, aber vergleichbare Einrichtungen geöffnet bleiben — kann Gleichheitsgrundsatz verletzt sein.
Bewertung: Hier gibt es Ansatzpunkte, dass manche Regelungen weniger klar oder weniger gleichmäßig waren, womit sie in der Rückschau als kritisch gelten können.
3. Dauer und Eingriffsintensität vs. Fortentwicklung der Risiko-/Evidenzlage
Problematik: Grundrechtseingriffe müssen nicht nur initial verhältnismäßig sein, sondern auch im Zeitablauf überprüft und ggf. angepasst oder aufgehoben werden. Wenn die Gefährdungslage sich mindert, aber die Maßnahmen bleiben oder nicht angepasst werden, kann dies problematisch sein. SpringerLink+1
Konkretes Beispiel: In späteren Pandemiewellen war z. B. die Krankheitsschwere durch Impfung oder Immunität deutlich geringer; hier stellt sich die Frage, ob strengere Maßnahmen weiterhin gerechtfertigt waren.
Rechtlich relevant: Dauerhafte oder unverhältnismäßige Eingriffe könnten die Verfassung verletzen, z. B. durch Einschränkung von Freiheit ohne ausreichende Rechtfertigung.
Bewertung: In der Rückschau erscheint, dass manche Maßnahmen nicht immer rasch genug entfristet oder angepasst wurden — somit gibt es auch hier einen kritischen Blickwinkel.
🔍 Welche konkreten Maßnahmen könnten heute als eher problematisch gelten?
Auf Basis der obigen drei Problembereiche lassen sich einige Maßnahme-Typen nennen, die aus heutiger Sicht kritisch betrachtet werden könnten. Dies ist keine Aussage, dass sie sicher rechtswidrig sind — nur, dass sie potenziell problematisch sind.
- Großflächige Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen ohne klar belegbare Wirkung im konkreten Setting, kombiniert mit lange Dauer.
- Schul- oder Kita-Schließungen über einen langen Zeitraum, insbesondere bei Kindern mit geringerer Risikobelastung, ohne parallele starke Datenlage, verbunden mit erheblichen negativen Nebenwirkungen (Bildungslücken, psychische Belastung).
- Einrichtungen mit verpflichtender oder sehr restriktiver Regelung, wo eine weniger einschneidende Maßnahme evtl. ausgereicht hätte — z. B. Vergleich Maskenpflicht vs. vollständige Schließung.
- Maßnahmen, die nicht hinreichend befristet oder nicht ausreichend evaluiert wurden, sodass sie länger als notwendig in Kraft blieben.
- Ungleichbehandlungen, z. B. wenn bestimmte Gruppen stärker belastet wurden als andere, ohne klare sachliche Rechtfertigung.
✅ Was spricht dagegen, dass diese Maßnahmen generell rechtswidrig sind?
- Die Gerichte haben mehrfach entschieden: Eingriffe waren im jeweiligen Zeitpunkt verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig angesichts der „extrem gefährlichen“ Pandemie-Situation. Deutsche Welle+1
- Der Gesetzgeber hat (z. B. durch Infektionsschutzgesetz – IfSG) eine rechtliche Grundlage geschaffen, auch wenn Kritik an der Ausgestaltung besteht.
- Die Maßstäbe zur Verhältnismäßigkeit erlauben der Verwaltung bei hoher Unsicherheit einen gewissen Spielraum („präventive“ Eingriffe, Risikoabwehr). Cambridge University Press & Assessment+1
- Im Kontext einer Gesundheitskrise wird eine besondere Dynamik anerkannt: Der Staat darf schneller reagieren als in „Normalzeiten“.
🔮 Fazit
Aus heutiger Sicht lässt sich zusammenfassen:
- Einige Maßnahmen der Pandemie-Politik sind aus Rückschau kritisch im Hinblick auf Verfassungsmäßigkeit, Evidenzlage und Verhältnismäßigkeit.
- Nicht alle Maßnahmen waren oder sind zwingend verfassungswidrig — es hängt stark vom konkreten Einzelfall, Zeitpunkt, Umfang, Ausgestaltung und Dauer ab.
- Für eine rechtliche Bewertung im Einzelfall müsste man konkret schauen: Gesetzesgrundlage, Begründung, Datenlage, Dauer, Alternativen-Prüfung, Ausgleich von Grundrechten.
- Für eine zukünftige Krisenbewältigung sind Lehren erkennbar: bessere Daten- und Evidenzgrundlage, klare Befristung von Maßnahmen, transparente Kommunikation, differenzierte Maßnahmen statt pauschaler Eingriffe.
Ausgewählte konkrete Maßnahmen aus der Pandemie-Zeit in Deutschland, mit einer juristisch-wissenschaftlichen Einordnung (Verfassungsmäßigkeits- und Evidenz-kritisch) und einer Einschätzung, inwieweit heute starke Zweifel an deren Zulässigkeit bestehen. Das ist eine neutrale Analyse.
Maßnahme 1: Ausgangs-/ nächtliche Ausgangssperre im Rahmen der „Bundes-Notbremse“
Beschreibung
Im Gesetz zur sogenannten Bundes-Notbremse (April 2021) war geregelt, bei sehr hoher Inzidenz: Kontaktbeschränkungen, nächtliche Ausgangssperren (z. B. 22–5 Uhr) und andere einschneidende Maßnahmen in den Bundesländern. ConstitutionNet+3Lex-Atlas: Covid-19+3GFF Rights+3
Juristisch-wissenschaftliche Einordnung
- Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass diese Maßnahmen unter den damals gegebenen Umständen grundsätzlich verfassungsgemäß waren. Konrad Adenauer Stiftung+2Lex-Atlas: Covid-19+2
- Gleichzeitig wird betont, dass das Parlament eine weitgehende Einschätzungs- und Gestaltungsmacht hatte – aber auch gilt: Die Verhältnismäßigkeit („Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit“) war und bleibt kritisch prüfbar. Cambridge University Press & Assessment+2Cambridge University Press & Assessment+2
- Wissenschaftlich wird hinterfragt, ob Ausgangssperren in allen Situationen ausreichend Evidenz hatten – z. B. Studien zeigen, dass viele Übertragungen in Innenräumen stattfinden, aber die Wirkung von Ausgangs-sperren auf die Dynamik im Einzelnen schwer belegbar war. Cambridge University Press & Assessment+1
Einschätzung heute
- Stark problematisch scheint heute, wenn eine Ausgangssperre nicht mehr an eine konkrete Gefahrensituation (z. B. drohende Überlastung von Intensivstationen) gekoppelt ist oder nicht rechtzeitig überprüft und aufgehoben wurde.
- Würde heute eine Ausgangssperre verhängt werden, müsste das Gesetz klar die Rechtsgrundlage, die Dauer, die Bedingungen und eine Evaluierung enthalten — und evidenzbasiert zeigen, dass sie erforderlich war.
- Solch eine Maßnahme wäre heute erheblich anfälliger für verfassungsrechtliche Anfechtung, vor allem wenn sie pauschal und ohne differenzierte Risikoanalyse angewandt wurde.
Maßnahme 2: Schul- und Kitaschließungen über längere Zeit
Beschreibung
Während der Pandemie wurden Bildungs-, Betreuungs- und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche oft erheblich eingeschränkt: Schul- und Kitaschließungen, Wechselunterricht, reduzierter Zugang.
Juristisch-wissenschaftliche Einordnung
- Fundamentalrechte wie Schul- und Ausbildungspflicht, das Recht auf persönliche Entfaltung (§ 2 GG) und das Eltern- und Kindesrecht sind betroffen.
- Rechtsprechung hat erkannt, dass solche Eingriffe zulässig sein können, wenn sie notwendig sind. Zugleich gilt: Der Staat muss Gefahrenlage, Nutzen, Nebenfolgen und Alternativen abwägen. Cambridge University Press & Assessment+1
- Wissenschaftliche Lage hat sich über die Zeit verändert: Anfangs war die Risikoabschätzung für Kinder geringer, später zeigte sich, dass Kinder deutlich seltener schwere Verläufe hatten – gleichzeitig stiegen Erkenntnisse zu Nebenwirkungen von Schließungen (Bildungslücken, psychische Belastungen).
Einschätzung heute
- Wenn Schul- oder Kitaschließungen lange andauern, ohne hinreichende Evidenz, ohne regelmäßige Neubewertung und ohne adäquate Ausgleichs- und Fördermaßnahmen – dann könnte heute rechtsrechtlich eine Verletzung der Verhältnismäßigkeit vorliegen.
- Insbesondere eine Pauschalschließung aller Einrichtungen, wenn differenzierte Maßnahmen (z. B. Lüftung, Masken, Testung) möglich gewesen wären, wäre aus heutiger Sicht kritisch.
Maßnahme 3: Geschäftsschließungen/Betriebsverbote im Einzelhandel und Gewerbe
Beschreibung
Während der Pandemie wurden vorübergehend nichtlebensnotwendige Geschäfte, Dienstleistungsbetriebe und Gastronomie in vielen Bundesländern geschlossen oder stark eingeschränkt.
Juristisch-wissenschaftliche Einordnung
- Eingriffe betreffen Schutz der Berufsausübung, Eigentum, wirtschaftliche Existenz – also Zentralrechte wie Art. 12 (1) GG (Berufsfreiheit) sowie Art. 14 GG (Eigentum).
- Studien zeigen: Die Wirksamkeit im Einzelhandel variierte stark, und mit der Dauer steigt die Belastung und damit das Risiko der Unverhältnismäßigkeit. Cambridge University Press & Assessment+1
- In manchen Fällen haben Verwaltungsgerichte Geschäftsinhabern Recht gegeben mit der Begründung, dass Differenzierung möglich war und die Maßnahme nicht angemessen begründet war. ConstitutionNet
Einschätzung heute
- Heute wäre bei pauschaler Schließung ohne Differenzierung zwischen z. B. kleinen Läden mit guten Hygienekonzepten vs. großen Flächen-Händlern eine hohe Anfechtungsgefahr gegeben.
- Die Dauer der Einschränkung, fehlende Evaluation und fehlende Ausgleichsmaßnahmen (z. B. finanzielle Hilfen) sind Faktoren, die die Verhältnismäßigkeit schwächen.
Maßnahme 4: Quarantänepflichten & Isolation ohne differenzierte Risikoanalyse
Beschreibung
Pflicht zur Quarantäne bei positivem Test oder als Kontaktperson, teils mit Isolation zuhause oder in behördlich bestimmten Einrichtungen.
Juristisch-wissenschaftliche Einordnung
- Freiheitsrechte (Art. 2 GG: körperliche Unversehrtheit/Freiheit der Person) sind betroffen. Isolation kann Eingriff in Freiheitsrechte darstellen.
- Rechtlich verlangt: Gesetzliche Grundlage, Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit, Möglichkeit des Rechtsbehelfs. Wissenschaftlich: Risikoabschätzung, Differenzierung nach Impf-/Immunstatus etc.
Einschätzung heute
- Heute könnte die rigide Quarantänepflicht bei geimpften/genesenen Personen, wenn keine ausreichende Evidenz mehr vorliegt, als überzogen gelten.
- Entscheidend: Differenzierung, kürzere Fristen, Überprüfung, Ausgleichsmaßnahmen, transparente wissenschaftliche Basis. Unzureichende Differenzierung eröffnet ggf. verfassungsrechtliche Angriffsfläche.
📌 Zusammenfassung & Ausblick
- Viele Maßnahmen waren unter den damaligen Bedingungen – mit hoher Unsicherheit – verfassungsrechtlich vertretbar.
- Allerdings: In der Rückschau zeigt sich, dass vor allem Aspekte wie Dauer, Pausschalisierung, fehlende Evidenz oder Differenzierung, unzureichende Evaluation und unzureichende Berücksichtigung von Nebenfolgen problematisch sind.
- Für zukünftige Ausnahme- oder Krisenmaßnahmen gilt: klare gesetzliche Grundlage, Differenzierung nach Risiko, zeitliche Befristung, regelmäßige Überprüfung, transparente wissenschaftliche Basis und Ausgleichsmaßnahmen für betroffene Grundrechte.
